Gelungener Heimat- und Kulturabend in der Synagoge

Sandhäuser Persönlichkeiten:

Teil 1-3

Es war ein gelungener Auftakt zu einer geplanten Reihe von Heimat- und Kulturabenden des Verkehrs- und Heimatvereins am 20. November, zu dem der erste Vorsitzende, Jonas Scheid, zahlreiche Gäste begrüßen durfte. Eine vollbesetzte Synagoge zeugte vom großen Interesse an dieser Veranstaltung. Hierbei wurden den Anwesenden drei Persönlichkeiten vorgestellt, die für die Geschichte unserer Gemeinde von Bedeutung sind: Nathan Straus, Augustin Brettle und Edmund Kaufmann.

Rolf W. Maier, Günter Wittmann, Wilfried Hager, Jonas Scheid
Rolf W. Maier, Günter Wittmann, Wilfried Hager, Jonas Scheid

Rolf W. Maier, Günter Wittmann, Wilfried Hager, Jonas Scheid

 

Teil 1: Den Auftakt machte der ehemalige Mitarbeiter des Ortsbauamtes, Wilfried Hager, der sich seit langer Zeit mit der Geschichte unserer Gemeinde und bedeutenden Persönlichkeiten befasst. Er stellte den Besuchern den jüdischen Wohltäter und Menschenfreund Nathan Straus vor. Hierbei zeigte er Bilder, die er von der ‚Straus-historical-society‘ aus der Gegend von New York erhalten hat.

Der Einfluss von Nathan Straus auf Sandhausen kann kaum überschätzt werden kann. Aus dem pfälzischen Otterberg wandere die Familie Straus 1854 nach Amerika aus. Über Georgia und nach den Wirren des Bürgerkrieges kam die Familie nach New York. Nathan Straus war schon in früher Jugend sehr geschäftstüchtig und brachte es zum Teilhaber am Kaufhaus „Macey’s“.

Seine Frau, Lina Gutherz, die er 1875 heiratete, lernte er auf einer Reise nach Deutschland l in Mannhein kennen. Lina Gutherz-Straus sollte ihn bis zu ihrem Tode im Jahre 1930 in allen Dingen tatkräftig unterstützen. Sie schrieb 1917 über das Leben und Wirken ihres Mannes ein Buch: „Krankheiten in der Milch – Die Pasteurisierung“

Die Geschäftstüchtigkeit von Nathan Straus – er war Millionär – ist nur die eine Seite von ihm. Nathan Straus verstand sich als großen Menschenfreund. Es gab Dinge, die er vornahm, welche zur damaligen Zeit alles andere als selbstverständlich waren: Finanzielle Unterstützungen und Mittagessen für Mitarbeiter, Bereitstellung von Ruheräumen und medizinische Versorgung. In New York eröffnete er auf eigene Kosten vier Herbergen. Hier konnten die Ärmsten für billiges Geld übernachten und frühstücken.

Ende des 19. Jahrhunderts war in Amerika die Tuberkulose-Krankheit weit verbreitet. Insbesondere verursachte verunreinigte Milch eine hohe Kindersterblichkeit. Nathan Straus sagte der Krankheit den Kampf an. Unbehandelte Milch stand unter Verdacht und errichtete 1892 auf eigene Kosten in New York ein Labor für die Herstellung und Lieferung von pasteurisierter Milch. Der Erfolg zeigte sich schnell: Die Kindersterblichkeit sank rapide.

Dies machten Straus zu einem unermüdlichen Aktivisten, trotz Widerständen von Milchhändlern, Politiker und Ärzten und so war ganz Manhattan mit Milchdepots versorgt. Die nationale Sterblichkeitsrate für Säuglinge in den USA fiel erheblich.

1907 besuchte Nathan Straus Deutschland. Hierbei kam er unter anderem nach Heidelberg und finanzierte er eine Einrichtung zur Pasteurisierung von Milch, welche der damaligen Kinderklinik angegliedert war. Anschließend wurde dies auch in anderen Orten, wie in Sandhausen, vorgenommen.

Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in Sandhausen eine sehr hohe Kindersterblichkeitsrate. Alte Quellen erwähnen sogar, dass Sandhausen an erster Stelle innerhalb von Nordbaden gestanden haben soll. Diese betrug 46 bis 47 Prozent. Auch hier lag die wahrscheinlichste Ursache darin, dass die Kinder keine sterilisierte Milch zu trinken bekamen.

Mit Unterstützung von Nathan Straus wurde gegenüber dem alten Rathaus eine öffentliche Milchküche eingerichtet, welche am 1. Februar 1908 ihren Betrieb aufnahm. Anfangs wurde die pasteurisierte Milch aus der Heidelberger Milchküche geliefert, ab März 1908 belieferten Sandhäuser Landwirte die Einrichtung. Diese, dann in der Straus’schen Milchküche pasteurisierte Milch, wurde an bedürftige Familien kostenlos verteilt.

In zwei Schreiben bedankte sich der damalige Bürgermeister Franz Hambrecht persönlich bei Nathan Straus und konnte mitteilen, dass die Kindersterblichkeit in Sandhausen erheblich zurückgegangen sei. 1907 und 1908 starben jährlich ca. 30 Kinder, die meisten davon an der unbehandelten Milch.

Das Wirken von Nathan Straus fand erhebliche Resonanz in der nordamerikanischen Presselandschaft. In nordamerikanischen Städten wurde die Straus’sche Milchküche in Sandhausen als vorbildliche Einrichtung dargestellt.

Nathan Straus kam immer wieder nach Deutschland. Dabei besuchte er auch die Einrichtung in Sandhausen. Bei diesem Besuch schenkte er dem Mitarbeiter Martin Herzog eine Uhr. Und Wilfried Hager konnte auch ein Bild von diesem Besuch zeigen. Die Enkelin von Herrn Herzog, die Sandhäuserin Rosemarie Stephan, hat dem Verein das Bild dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt und brachte die Uhr zur Veranstaltung mit.

Um 1914 zog sich Nathan Straus nach dem Tode seines Bruders Isidor aus dem aktiven Geschäftsleben zurück. Er wirkte danach weiterhin in erheblichem Umfang durch Unterstützung von sozialen Projekten in den USA und in Israel. Er spendete einen Großteil seines beträchtlichen Vermögens, unter anderem gründete er die Nathan-und Lina-Straus-Gesundheitszentren in Jerusalem und Tel Aviv.

Lina Gutherz-Straus verstarb am 4. Mai 1930. Sie hinterließ Nathan als einsamen Mann. Nathan Straus verstarb am 11. Januar 1931 in New York City und wurde 2 Tage später unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in New York beerdigt.

In Israel und auch in New York ist an Nathan Straus durch Straßennamen und Namen von Plätzen erinnert. Und es gibt auch eine Stadt in Israel, die ist nach ihm benannt: Die ca. 220.000 Einwohner zählende Stadt Netanja., nordwestlich von Jerusalem gelegen.

Zum Schluss seiner Ausführungen bedankte sich Wilfried Hager bei Frau Joan Adler von der Straus historical society in den USA und Frau Kira Gebauer aus Kanada, die ihn mit Informationen und Dokumenten zu Nathan Straus versorgt haben.

 

Teil 2: Die Anregung zur Beschäftigung mit Dr. h. c. Augustin Brettle kam von Wilfried Hager. Rolf W. Maier, gebürtiger Sandhäuser, beschäftigt sich seit sechs Jahren mit den Biografien der Familie Brettle. Über Andreas Brettle, Vater des Augustin Brettele, publizierte Maier ebenfalls, der im Übrigen 1980 vom Gemeinderat in den Redaktions-ausschus des Heimatbuches gewählt wurde.
Im Folgenden teilt Maier das Leben des Augustin Brettle (1841-1925) in vier Etappen ein.Seine Ausbildung begann 1857 in der katholischen Volksschule, sie wurde In Freiburg im Breisgau mit dem Gymnasium und dem Studium der Theologie fortgesetzt und beendet.
Maier schilderte ausführlich die ökonomische und politische Situation Sandhausens die Dekade der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts. Die Dünengemeinde war geprägt durch die Landwirtschaft und Spezialkulturen: Krautköpfe,Hopfen (ab 1666),Tabak und Spargel(ab 1855). Es gabe „viele reiche“ Hopfenbauern. Mit den ersten Zigarrenfabriken kam die Industrialisierung aufs Dorf – mit all ihren guten und schlechten Aspekten.Nun konnten die Arbeiterinnen und Arbeiter Geld verdienen, sparen und konsumieren. Eine hohe Kindersterblichkeit und Kinderarbeit  (in Landwirtschaft und Fabrik)gehörten zur Realität des damaligen Alltags.
Politisch ging es zu nächst nach den Revolutionsjahren 1848/49 etwas gemächlicher vonstatten, der katholische Bürgermeister Jakob Trotter  stand an  der Spitze der Gemeinde (1848-1852).Aber auf der nationalen Ebene waren die deutschen Staaten in drei Kriege verwickelt, bis dann 1871 die deutsche Einheit des Kaiserreichs gelang.
Nach dem Ausscheiden  des Kaiserreichs Österreich/Ungarn geriet der katholische Teil Deutschlands in die Position der Minderheit, und mit dem beginnenden Kulturkampf sollte diese
Gruppe, die im Großherzogtum Baden aber die Mehrheit stellte, um den  bisherigen gesellschaftlichen Einfluss zu behalten.Der Staat wollte als „liberaler“ Staat allein die Aufsicht über die kommunalen Schulen innehaben und mitwirken bei den Staatexamina der Theologen. Alle Schulen sollten nach Ansicht des Staates „Simultanschulen“ werden; so auch realisiert in Sandhausen mit dem Bau der heutigen Pestalozzi-Schule 1876, die nun gemeinsam von evangelischer,katholischer und jüdischer Schülerschaft besucht wurde.
Brettles Vorgesetzte reagierten auf ein Gesetz des badischen Staates, wonach bei dem  theologischen Staatsexamen ein Vertreter der Staatsbehörde dabei sein muss, mit der vorgezogenen Priesterweihe am 30.1.1871. Brettle wurde eine Gemeinde bei Karlsruhe zugewiesen. Zuvor hielt er einen Gottesdienst in seiner Heimatgemeinde, um aber anschließend verhaftet und verurteilt zu werden. Einer weiteren Verhaftung entzog er sich mit der Flucht nach Österreich/Ungarn und zwar in die Hauptstadt Wien. Von dort in die  Stadt Sargans,Republik Schweiz. Der Kaplan Brettle leitete als Rektor bis 1981 die Mittelschule der Stadt.
Nach Abflauen des Kulturkampfes kehrte Brettle wieder nach Baden zurück, übernahm nacheinander als Seelsorger verschiedenen Gemeinden im südbadischen Raum. Aufgrund seiner theologischen, musikalischen und organisatorischen Kenntnisse, bes. im Orgelbau, ernannte ihn der Erzbischof 1903 zum Mitglied seiner kirchlichen „Regierung“; zuständig für Kirchengesang, Leitung der Cäcilien-Chöre, Orgelbau und Glocken. Zudem tat er sich auch als Komponist
traditioneller Kirchenmusik hervor.
Am Ende seines Lebens verschlimmert sich sein Augenleiden, aber seine Anerkennung als Theologe erfährt er durch die Ehrung als Dr. honoris causa der Universität Freiburg 1920. Augustin Brettle starb  1925 in Freiburg.

 

Dr. Edmund Kaufmann fand keine Erwähnung im Heimatbuch,dabei ist er die Persönlichkeit, die weit über die Grenzen Baden-Württemberg hinweg führende Postionen eingenommen hatte.
Er ist unser Minister!!
Rolf W. Maier arbeitet seit Jahren an dessen Biografie, besuchte über 20 Archive in ganz Deutschland und will seine Studie im nächsten Jahr publizieren.
Maier sprach „nur „ über die Sandhäuser Kindheit des  späteren Ministers,1893-1901; er näherte sich dieser Persönlichkeit mit der Auswahl dreier Komplexe.
Zunächst berichtet er über die Familie des jungen Edmund, der eine Schwester und zwei Brüder hatte, von denen starb der junge Rudolf  in Sandhausen (1894-1897), der ältere Bruder fiel im 1. Weltkrieg. Seine Schwester Elsa, die später in Freiburg und Karlsruhe lebte, erreichte ein Alter von 100 Jahren.
Die Eltern stammten nicht aus Sandhausen; der Vater, geb. in der Nähe von Wertheim, zog 1889 nach Sandhausen, um dort als Postverwalter zu arbeiten.Die Mutter wurde in Eichtersheim geboren, sodass sogar mit der Bahn von Sandhausen zu den Großeltern relativ schnell gefahren werden konnte.Der Vater war auch gesellschaftlich aktiv.
Insgesamt stellt sich die Situation des nunmehr industrialisierter gewordenen Dorfes  widersprüchlich dar. Das „turbulente Jahrzehnt“ (Maier) der 90er  des 19. Jahrhunderts zeigte sich in folgenden Fakten: Gründung der SPD( 1892),Gründung der katholischen Zentrumspartei (1897),
Ringen um Rolle des kirchlichen Einflusses (Debatte um Turnerfest),Einschränkungen von neuen Gasthäusern, Streit zwischen Lehrern und Pfarrern,gescheiterte Bürgermeisterwahlen etc.
Zum Schluss erzählte Maier aus den Berichten und autobiografischen Texten über den Alltag der Familie Kaufmann. Besonders wichtig für die Familie war der Glaube und der Kontakt mit dem Pfarrer Dr. Franz Kempf, der sogar ein eigenständiges Gedicht über „Edmund.den Kleinen“ verfasste.
Evi und Christian Kaufmann (Sohn und Schwiegertochter Edmund Kaufmann) richteten von der Ferne herzliche Grüße an das heimische Publikum.

Sandhausen war zeitweise lutherisch, zeitweise reformiert und zeitweise katholisch. Nach dem dreißig-jährigen Krieg konnte sich Religionsfreiheit entwickeln. Und so gab es in Sandhausen Angehörige von 3 Konfessionen: Reformierte, Lutheraner und Katholische. Die Kirche blieb bei der zahlenmäßig stärksten Gruppe, den Reformierten.

In einem Gutachten im Jahre 1753 wurde der Zustand des Gebäudes als gänzlich ruinös festgestellt.

Im Jahre 1803 hatte Sandhausen 824 Einwohner. 60 Jahre später war diese Zahl auf über 2.000 angestiegen. Die Kirche war jetzt zu klein geworden und so entschloss man sich im Jahre 1863 zum Neubau einer evangelischen Kirche auf dem „Staffelbuckel“, also dem jetzigen Standort, der 1866 fertig gestellt war. Was tun mit der bisherigen Kirche? Man verkaufte sie an die jüdische Gemeinde für 2000 Gulden, denn die Räumlichkeiten der jüdischen Gemeinde waren zwischenzeitlich auch zu klein geworden. Und so zog die jüdische Gemeinde in die ehemalige evangelische Kirche ein.

Wenige Tage vor der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 hatte die politische Gemeinde das Gebäude erworben. Und dieser Erwerb war der Grund dafür, dass es von der völligen Zerstörung weitgehend verschont geblieben ist. Aber für das Gebäude wurde dann in der Folgezeit nicht mehr viel getan, es verfiel immer mehr. Es gab sogar im Jahre 1951 Pläne zum Abriss.

 

1955 wurde im Rahmen der Umgestaltung des Rathausplatzes (heutiger Lege-Cap-Ferret-Platz) beschlossen, alle öffentlichen Gebäude zu sanieren und auch die ehemalige Synagoge in einen würdigen Zustand zu versetzen. Zeitweise war das Gebäude für Räume des Rathauses genutzt, bis das neue Rathaus an seinem jetzigen Standort bezugsfertig war.

1961 wurde der Turm durchbrochen, um eine sehr gefährliche Situation in der Hauptstraße zu entschärfen. Im Zuge dieser Maßnahme wurde das Außengelände gleich neugestaltet. Ein Gedenkstein erinnert an das traurige Schicksal der jüdischen Mitbürger in der Zeit des Nationalsozialismus.

2015 wurde eine Grundsanierung der ehemaligen Synagoge durchgeführt sowie der Außenanlagen. Nunmehr finden seit dieser Zeit Konzerte, Ausstellungen und Veranstaltungen statt. Außerdem wird das Gebäude für Proberäume verwendet.

Der Vorsitzende des Vereins, Jonas Scheid, äußerte sich zum Abschluss hoch erfreut über die zahlreichen Besucher und wies darauf hin, dass aufgrund des guten Besuches weitere Veranstaltungen dieser Art im kommenden Jahr geplant sind.